Kennen Sie den Film „It’s a
wonderful Life?“ Er stammt aus dem Jahre 1946, mit James Stewart. Die USA sind
noch vom zweiten Weltkrieg geschüttelt, es ist kurz vor dem Weihnachtsabend in
der amerikanischen Kleinstadt Bedford Falls. George Bailey, Leiter einer
kleinen Hypothekarsparkasse, versucht sich das Leben zu nehmen. Ein
unbescholtener, tadelloser Mann, verheiratet, Vater von vier Kindern, der viel für die Entwicklung von Bedford
Falls getan hat, steht vor dem Bankrott, weil sein Onkel sein ganzes ihm
anvertrautes Geld verspielt hat. Bailey steht auf einer Brücke und will
runterspringen, genau in dem Moment, als ein älterer Mann in den Fluss fällt
und um Hilfe ruft. Bailey verschiebt den eigenen Suizid und rettet ihn. Der
Gerettete behauptet von sich, ein Engel zu sein. Bailey glaubt ihm nicht, als
Prüfung wünscht er sich von dem Mann, nie geboren zu sein. Der Engel verwandelt
Bedford Falls in den traurigen Zustand, in dem das Städtchen wäre, wenn es
George Bailey nie gegeben hätte. Am Weihnachtsabend erwacht Bailey aus diesem
Zustand, kehrt in die Realität zurück und ist von seiner depressiven Stimmung
befreit. Überglücklich, dass er noch am Leben ist, rennt er durch die
Hauptstrasse des eingeschneiten Städtchens, jubiliert, lacht, jaucht und
wünscht allen „Merry Christmas, Merry Christmas!“
Der Film ist längst zu einem
Weihnachtsklassiker gereift, die Filme, die über die Festtage eben so
ausgestrahlt werden. Noch nicht zu wirklicher Berühmtheit, geschweige denn zu
einem Klassiker hat es die mentale Strategie, die der gerettete Engel in diesem
Film anwendet, geschafft. In der Psychologie spricht man von mentaler
Subtraktion, ein gutes Stück für in die Werkzeugkiste für ein gutes Leben.
Lust auf eine Übung? Ja?
Okay, dann los!
Warm-up: Drucken Sie zuerst
diesen Blog aus.
Beantworten dann Sie folgende
Frage: Wie glücklich sind Sie gerade in Ihrem Leben? Wählen Sie eine Zahl
zwischen 0 (zu Tode betrübt, die Welt ist ein Elendsviertel) und 10 ( Gleich
fliege ich...). Schreiben Sie den Wert an den Rand dieses Blogs (wenn Sie
keinen Drucker haben, auf einen Zettel, wenn Sie keinen Zettel haben auf Ihre
Handinnenfläche: Wenn Sie nichts zu schreiben haben und auch nichts holen
wollen, empfehle ich die Brücke und die Hoffnung auf einen Engel....)
Lehnen Sie zurück. Schliessen
Sie die Augen und stellen Sie sich vor, Sie hätten den rechten Arm verloren.
Nur noch ein kleiner Stumpf. Wie fühlt sich das denn an? Wie viel schwieriger
ist das Leben geworden? Wie jemanden umarmen? Wie schwimmen? Wie Fahrrad
fahren? Essen?
Es geht weiter. Nun stellen
Sie sich auch noch vor, Sie hätten zusätzlich den linken Arm verloren. Keine Hände mehr. Nichts mehr berühren,
halten, streicheln. Nun verlieren Sie auch noch das Augenlicht. Sie hören und
riechen alles, aber...
Öffnen Sie nun die Augen
wieder. Nehmen Sie sich die Zeit (3 min), um diese Situationen durchzuspielen,
sich in sie hinein zu fühlen, bevor weiterlesen.
Wie fühlt sich nun Ihr Lebensglück
an? Bewerten Sie es mit einer Zahl neu! Wenn Sie die Übung wirklich gemacht und
in sie hinein gefühlt haben, hat sich Ihr Glücksgefühl soeben erheblich erhöht.
Als ich sie das erste Mal gemacht habe, fühlte ich mich wie ein Stein oder
Geschoss, das von einem Katapult losgelassen wird. Oder wie ein Ball, den
man unter Wasser hält und
dann loslässt: Er schiesst wie eine Fontäne hoch! Das ist der eindrückliche
Effekt der mentalen Subtraktion!
Silbermedaillen-Gewinner sind
unglücklicher als Bronzemedaillen-Gewinner (Studie anlässlich der Olympischen
Spiele in Barcelona). Logisch: Silber misst sich an Gold, Bronze an gar keiner
Medaille. Mentale Subtraktion vergleicht mit „keiner Medaille“. Anstelle von
Medaille können Sie irgendetwas einsetzen.
Deshalb müssen Sie sich
natürlich nicht alles amputieren lassen in einer solchen Übung. Fragen Sie
sich, wie es wäre, wenn Sie in einem Slum leben müssten anstelle Ihres bestimmt
gemütlichen Heimes. Oder für Lebensmittel stundenlang anstehen wie ich es 1983
in der Sowjetunion (Moskau und Leningrad, so hiess St. Petersburg damals noch)
erlebt habe und nicht wissen, ob es dann überhaupt noch was gibt. Oder Sie
wären in einem Schützengraben stationiert, in Nordsyrien zum Beispiel. Spüren
Sie, wie Dankbarkeit aufkommt? Dankbarkeit, eine der wertvollsten Emotionen und
so vernachlässigt. Versuchen Sie mal gleichzeitig dankbar und sauer oder gar aggressiv
zu sein. Ein Ding der Unmöglichkeit!
Es gibt allerdings zwei
Probleme mit dieser Dankbarkeit:
1. Wem danke ich überhaupt?
Wer nicht gläubig ist, dessen Dankbarkeit kann ins Leere gehen.
2. Die Gewöhnung. Das Gehirn
des Menschen reagiert zwar oft heftig auf jegliche Veränderungen, aber gewöhnt
sich schnell an neue Zustände. Das ist von Vorteil, wenn uns Unheil zustösst:
Wir den Lebenspartner verlieren, die Stelle, eine Prüfung nicht bestehen. Der
Psychologe Dan Gilbert spricht vom psychologischen Immunsystem mit
entsprechenden „Antikörpern“. Und auch das hat eine Kehrseite:
Wir gewöhnen uns auch rasch
an schöne Dinge: Die Lohnerhöhung, das neue Auto, eine bestandene Prüfung, selbst
die heisseste Flamme der Liebe soll eine Halbwertszeit von lediglich 3 Monaten
haben, bevor sie den ersten Kühleffekt erlebt.
Dankbarkeit ist der Versuch,
gegen die Gewöhnung anzukämpfen. Leider gewöhnen wir uns auch an diese mentale
Herangehensweise. Immer nur positiv zu denken, macht nicht glücklicher.
Zum Glück haben Dan Gilbert
und Timothy Wilson noch eine gute Nachricht für uns bereit: Die mentale
Subtraktion kennt keinen dieser Nachteile.
Die beiden Forscher konnten zeigen, dass mentale Subtraktion das Glück signifikant
stärker erhöht als das dauernde Denken an schöne Dinge des Lebens. Bereits die Stoiker* kannten diesen Trick schon vor
2000 Jahren: Statt daran zu denken, was man alles nicht besitzt, ist es besser,
sich Gedanken darüber zu machen, wie stark man die Dinge, die man schon
besitzt, vermissen würde, wären sie noch nicht in unserem Besitz.
Der Wissenschaftler Paul
Dolan schreibt: „Unser Glück ist uns oft nicht bewusst. Stellen Sie sich vor,
Sie spielen Klavier, hören aber nicht, wie es klingt. Vieles in unserem Leben
ist wie Klavierspielen, ohne dass man es hört.“
Es ginge darum, anfangen
bewusst zu spielen (leben), Klavier oder irgendetwas. Aber eben: Anfang,
Neustart – was für schwere Worte – wenn es da nicht ein Seminar dazu gäbe....
© Marco Caimi
* Die Stoiker (Beginn der stoischen Ethik ca. 300 v.Chr.) besassen
Eudamonia, die vollkommene Glückseligkeit, herbeigeführt aus den
Kardinaltugenden Weisheit, Mässigung, Gerechtigkeit und Tapferkeit.