Dienstag, 19. Dezember 2017

VOM ALPHA – ZUM BETA – MANN: Die andere Weihnachtsgeschichte

„Die meisten Frauen setzen alles daran, einen Mann zu ändern. Wenn sie ihn dann geändert haben, lieben sie ihn nicht mehr.“
Marlene Dietrich

Ich war ein Biker. Ich war männlich verwegen, ich war frei und hatte lange Haare. Meine Frau lernte mich kennen, nicht umgekehrt. Sie stellte mir förmlich nach. Egal, wo ich hinkam, sie war schon da. Das ist nun zwölf Jahre her. Damals war ich ein eingefleischter Motorradfahrer, trug nur schwarze Sweatshirts, ausgefranste Jeans und Bikerstiefel – und natürlich lange Haare. Klar hatte ich auch ein Outfit für besondere Anlässe:
Dann trug ich ein schwarzes Sweatshirt, ausgefranste Jeans und weisse Turnschuhe. Hausarbeit war eher ein Übel, dem ich, wenn immer möglich, aus dem Weg ging. Aber ich mochte mich und mein Leben, wirklich. So also lernte sie mich kennen: „Du bist mein Traummann, so verwegen, so frei.“

Mit der Freiheit war es bald vorbei, wir beschlossen zu heiraten. Na ja, wieso auch nicht, ich war männlich, verwegen, fast frei und ich hatte lange Haare. Bis zur Hochzeit. Kurz vorher dröhnte an mein Schallgebälk ihrerseits: „Du könntest wenigstens zum Friseur gehen, schliesslich kommen meine Eltern zur Trauung.“ Stunden, nein Tage, Wochen und endlose Tränen später gab ich nach und liess mir eine modische Kurzhaarfrisur verpassen, denn ich liebte sie, und ja, ich war männlich, verwegen, fast frei und es zog plötzlich auf meinem Kopf. Und ich war vor allem sooooo lieb.
„Schatz, ich liebe dich genauso wie du bist“, hauchte sie.

Das Leben war in Ordnung, obschon es auf dem Kopf etwas kühl war. Es folgten Wochen friedlichen Zusammenseins, bis meine Frau, jawohl, ich habe ja gesagt, unter den bohrenden Blicken meiner Schwiegereltern, mit einer grossen Tüte unter dem Arm vor mir stand. Sie holte ein Hemd, einen Pullover und eine neue Hose mit Bügelfaltz hervor und sagte: „Probier das bitte mal an.“ Tage, Wochen, sogar erst Monate später gab ich nach und trug fortan Hemden, Pullover und Stoffhosen mit Bügelfaltz. Es folgten schwarze Schuhe, teilweise hochglanzpoliert, Sakkos, Kravatten und Kamelhaarmantel. Kein Problem, ich war schliesslich männlich, verwegen, todschick, fast frei und es zog auf meinem Kopf.

Dann folgte der grösste Kampf, der um das Motorrad. Er dauerte nur kurz, denn im schwarzen Anzug, der einengt, kneift und zwickt sowie mit drückenden Lackschuhen wird jeder Krieger zur lahmen Ente. Aber kein Problem, ich war männlich, verwegen, spiessig, fast frei, ich fuhr eine Familienkutsche und es zog auf meinen Kopf.

Mit den Jahren folgten viele Kämpfe, die ich allesamt in einem Meer von Tränen verlor. Ich spülte, bügelte, kaufte ein, lernte Volkslieder auswendig, trank französischen Rotwein (igitt...) und ich ging Sonntags spazieren. Abends kamen dann immer die Schwiegereltern, die ich bekochen durfte, um anschliessend auch noch die Küche zu machen, denn meine Frau musste sich mit Mama unterhalten. Aber kein Problem, ich war ja mal männlich gewesen. Und ja, verwegen – und frei! Ich hatte eben eine persönliche Weiterentwicklung gemacht zum Weichei, gefangen, nacherzogen und fühlte mich scheisse. Und es zog auf meinem Kopf.

Es dauerte nicht mal lange und meine Frau stand mit gepackten Koffern vor mir: „Ich verlasse dich.“ Total erstaunt fragte ich sie nach dem Grund.
„Ich liebe dich nicht mehr, du hast dich so verändert. Du bist nicht mehr der Mann, den ich mal kennengelernt habe.“

Vor einigen Tage traf ich sie wieder. Ihr Neuer ist ein langhaariger Biker, mit zerissenen Jeans und Tatoos. Er sah mich mitleidig an. Ich glaube, ich werde ihm zu Weihnachten eine Wollmütze schenken.



Marco Caimi, nach einer Idee von Björn Leimbach