Donnerstag, 25. Juni 2015

BOUTIQUE BIZAR, RITZE UND EINE UNVOLLENDETE


Gehen vier Männer übers Wochenende nach Hamburg, wohnen zudem im Hotel „Hamburg Hafen“ zu St.Pauli, ist schönes Wetter noch lange nicht garantiert, dafür entsprechende Kommentare.
In der Tat waren wir ausgesprochen läufig angereist, mit dem Ziel den Hamburg Halbmarathon zu laufen. Dieser führt sogar zweimal von der von Udo Lindenberg so wunderschön besungenen geilen Meile Reeperbahn vom Millerntor nach Altona, die in Wirklichkeit aber nur 930 m lang ist und am Sonntag Morgen viel sympathischer daher kommt als zur Hans Albers-Zeit nachts um halb eins, denn ein Mädchen hast du eh keins, es sei denn, du bezahlst und scheust dich nicht, dieses mehrfach brüderlich zu teilen. Der nächtliche Kiez ist total spassbefreit, wo früher der König von St. Pauli mit den Luden (Zuhältern) noch für Hafenromantik sorgte, haben Ostbanden längst das Kommando übernommen, die „Grosse Freiheit“ ist längst nicht mehr frei, dafür wurde der Bestand der fleissigien Lieschen von einst 18'000 auf 2500 lean gemanagt. (Die Reeperbahn hat übrigens ihren Namen von den Reepschlägern, den Seilern, die für ihre Taue lange Bahnen brauchten). Um das Elend noch zu komplementieren, mischen sich, meist junge Obdachlose mit bedauernswerten Hunden unter das erstklassige Publikum, welches vorwiegend aus grosszahligen, gröhlenden Männergruppen besteht – wie widerlich sind denn solch marodierende Männerhorden? (Klammheimlich wünscht man ihnen das gleiche Schicksal wie Klaus Störtebeker, dem berühmtesten Piraten Hamburgs,

der im 14. Jahrhundert zusammen mit 73 seiner Kumpanen zu Tode verurteilt wurde. Allerdings versprach der Bürgermeister denjenigen Freiheit, an denen der geköpfte Störtebeker noch vorbei taumeln konnte. Klaus schaffte elf (!), aber der Bürgermeister brach umgehend sein Wort und Scharfrichter Rosenfeld köpfte innert kürzester Zeit 73 Piraten. Dies brachte ihm wiederum viel Lob vom Bürgermeister ein, worauf der Scharfrichter meinte, das wäre doch nichts, er könnte noch gleich den ganzen trägen Senat enthaupten. Diese Bemerkung trug ihm seinerseits Gefangenschaft und kurze Zeit später seine eigene Enthauptung durch das jüngste Ratsmitglied ein). Der rauhe hanseatische Charme.
Wie immer, wenn ich in Hamburg laufe, lacht auch am Sonntag Morgen die Sonne, vorbei geht’s zweimal auf der Reeperbahn an der Boutique Bizar, dem Café Keese, der Davidwache, der „Ritze“, der berühmten Kneipe mit dem noch berühmteren Boxring, in dem schon fast alles geboxt hat, von Muhammed Ali bis Henry Maske. Für uns Läufer gab’s aber keinen Grund zu schlagen, im Gegenteil empfangen uns am Fischmarkt und den Landungsbrücken wohlwollende und anfeuernde Menschenmassen und zahlreiche Bands – Hamburg versteht sich aufs Feiern und dies nicht nur, wenn die Queen Mary II im Hafen liegt, um im Trockendock bei Bloem&Voss gewartet zu werden oder wieder aufs grosse Meer hinaus zu stechen. Rechts lassen wir die Unvollendete, die Elb-Philharmonie (geplante Kosten ursprünglich 77 Millionen Euro, mittlerweile bei über 700 (!) Millionen angekommen) unvollendet und ziehen weiter.
Durch den Tunnel geht’s knapp an der Binnenalster (bedauerlicherweise ohne Jungfernstieg) auf die Kennedy-Brücke und von der zur wunderschönen Aussenalster vorbei am Hotel Atlantic, in dem besagter Udo Lindenberg seit mehr als zwanzig Jahren wohnt, mittlerweile kostet ihm seine Panikzentrale nichts mehr: Ehrensache für das Hotel. Vorbei an den Häusern der Reichen und Schönen, die Scheiben zum Teil aus Panzerglas wie beim 60 Millionen-Dreigenerationenhaus der Familie Tschibo. Tja, ganz nach ihrem Motto „Das Beste geben“ und noch mehr nehmen. Auch ein reicher, schlagender Ukrainer hat hier seine Zelte aufgeschlagen, allerdings zur Zeit mehr in Kiew, um diese Stadt wieder zu Vitali-sieren...Bereits geht’s um die Alster herum, noch zwei scharfe Kurven und das 20km-Schild taucht auf, labend und den langgezogenen Endspurt auslösend.
Im Ziel nur glückliche Gesichter, selbst der Turm des Michels scheint sich über die tollen Leistungen von 7000 Menschen zu freuen!
Beim Mittagessen mit Blick auf den Hafen natürlich, noblesse oblige, werden Laufgeschichten erzählt, jeder ist für sich zum kleinen Helden mutiert – so soll’s sein. Über allem aber schwebt in der Männerrunde die Feststellung, dass mittlerweile so viele hübsche Mädels Halbmarathon laufen und deren Outfits müde Beine vergessen lassen. Der Weg als Ziel. Wir wohnen schliesslich in St. Pauli.
Hamburg, du alte, wunderschöne Hafenbraut, wir kommen wieder!

© marco.caimi@aequilibris.ch


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