Donnerstag, 8. Januar 2015

KNAPPHEITSFELD GESUNDHEIT

In der Vergangenheit der letzten beiden Jahrhunderte war es immer so, dass ökonomische Knappheitsfelder nicht nur das Wachstum der Gesellschaft niedrig hielten, sondern direkt in teilweise blutige Krisen führten. Der russische Ökonom Nikolai Kondratieff, über den ich an anderer Stelle schon geschrieben habe, beschrieb dies in langen Wirtschaftswellen, diese immer geprägt von einem Auf- und Abschwung:

Textilien konnten sich vor 1769 nur wenige leisten, die Handproduktion am von Fuss betriebenen Spinnrad war zu teuer. Erst als die Dampfmaschine (1.Kondratieff) die Spinnräder antrieb, sanken Preise für Textilien frappant bis zu einem Punkt, als die Vermarktung derselben stagnierte und mitunter ein Grund für die schwere Krise der 1820 und 30er war. Der limitierende Faktor waren die Transportkosten auf Eselskarren und Ochsenwagen. Massenarbeitslosigkeit und Elend waren die Folgen.

Solche Depressionen enden erst, wenn der knappe Produktionsfaktor durch bessere Lösungen wieder verfügbarer wird. Die Antwort hiess damals: Eisenbahn (2. Kondratieff). Als sie gebaut wurde, verbilligte sie die Transportkosten derart, dass Handel und Industrie über weite Entfernungen ausgedehnt werden konnten. Die Wirtschaft boomte wieder, neue Arbeitsplätze wurden geschaffen, unter anderem in der Energiebereitstellung (Kohle!).

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts standen aber die Textil- und Agrargesellschaften vor Produktions- und Abnahmebarrieren, denn sie waren von der industriellen Revolution abgelöst worden. Die Dampfmaschine und –lokomotive genügte nicht mehr, erst der Strom erlaubte dem Stahlbau und der Chemie den Durchbruch. Allerdings war Europa und die Welt durch eigenen Schlafwandel bereits tief im Elend versunken, Deutschland militärisch und wirtschaftlich von den Alliierten plattgewalzt, so dass auch die Einführung der persönlichen Mobilität (Automobilindustrie) sowie der Petrochemie (4. Kondratieff) nicht genügten, um zumindest in Europa die grosse Wirtschaftskrise zu tilgen. Sie trugen aber zum wesentlichen Aufschwung nach Einstellung der Kriegswirren Ende der vierziger Jahre bei („Wirtschaftswunder“, „Marschall-Plan“, „Ludwig Erhard“). Ein Aufschwung, der bis zum Ölschock 1973 dauerte.

Erst die Informationstechnologie (5.Kondratjeff) schuf neue Kapazitäten für Produktion und Wachstum. Es war kein Zufall, dass die Länder, die der Computertechnologie Bösartigkeit und Vernichtung von Arbeitsplätzen unterstellten, kurz und mittelfristig gegenüber neuen Technologien offenen Industriegesellschaften grosse Marktanteile überlassen mussten. An erster Stelle sei hier der bis heute anhaltende und kaum mehr korrigierbare Bodenverlust der US-amerikanischen gegenüber der japanischen, aber generell asiatischen Autoindustrie. Die ehemalige Autostadt Detroit ist nicht mal mehr ein Schatten ihrer selbst.
Der Handyboom und das als Folge davon explodierende Angebot an Mobilnetzbetreibern, als Booster sogar an der Börse bei der Einführung beispielsweise des „Neuen Marktes“ in Deutschland, ist vielen von uns noch in bester Erinnerung. Die Absatzmöglichkeiten für Handys nähern sich dem Zenit (Nokia, Motorolla...) und der „Neue Markt“ ist bereits implodiert mit vielen „non valeurs“ und längst Geschichte.

Nicht Geld sparen – Ressourcen optimieren
Viele Probleme scheinen gelöst, nicht zuletzt durch die Informationstechnologie. Die Kehrseite der Medaille: Viele Menschen haben sich von einem halbwegs natürlichen Lebensstil entfernt, leben krankmachender denn je und werden, krank zwar, trotzdem älter als je zuvor. Dadurch wird das Gesundheitswesen zur Realkostengrenze, die der Wirtschaft mehr und mehr den Atem abdrückt und Gesundheit zum produktiven Knappheitsfeld macht. Leo Nefiodow, ein Schüler Kondratieffs, hat deshalb die physische, aber auch psychische Gesundheit zum 6. und damit prägenden Kondratieff in der Volkswirtschaft zumindest in der ersten Hälfte des 21. Jahrhunderts erklärt.
Die Lokomotive erlaubte dem Geschäftsmann, anstatt in drei Wochen mit dem Pferd von Chicago nach New York zu reiten, dies mit der Bahn in zwei Tagen zu tun. In den eingesparten mehr als zweieinhalb Wochen kann er anderes tun, als auf dem Pferderücken zu sitzen. Seine zusätzlich erbrachte Leistung ist der Wachstumseffekt für die Gesellschaft.

Auch der Gesundheitsmarkt wird zum Wohle der Wirtschaft in Zukunft Ressourcen einsparen müsen:
Unser Arbeitsleben ist aber noch nicht wirklich an die Strukturen und Möglichkeiten der Wissensgesellschaft angepasst. Wir leiden an teilweise unproduktiver Verdichtung und Beschleunigung, so dass teuer ausgebildete Menschen mit 55 halbtot frühverrentet werden müssen, mit 70 zum Pflegefall werden, zehn Jahre als Untote in quersubventionierten Heimen vegetieren, um dann mit 80 vereinsamt zu sterben. Wir lange kann sich eine Gesellschaft, die demoskopisch auf dem Kopf steht, es sich noch leisten, gut ausgebildete Menschen mit 55 in Rente zu schicken und dafür auch noch unzählige Streiks davor in Kauf zu nehmen (Lufthansa)? Gäbe es nicht die Möglichkeit, beispielsweise gerade ab 55 Arbeitslast und Lohnnebenkosten zu senken, dafür bei etwas weniger Einkommen (weil u.a. Kinder nicht mehr zu finanzieren sind), um aber mit Freude und einer Aufgabe weiter arbeiten zu können, bis 68 oder 70? Um am Ende nicht nach langer, aufwendiger Pflegebedürftigkeit lebenssinnentfremdet sterben zu „dürfen“, sondern 20 Jahre später „gesund und erfüllt in die Kiste zu springen“ (Lothar Burgerstein)? Diese angenommen 10 oder 15 Jahren Lebensarbeitszeit, in denen sich (Ausbildungs)Kapital besser amortisiert und ökonomische und Sinn-Werte geschöpft werden (nicht zu sprechen von der Erfahrung älterer Mitarbeitender) – diese wandeln Gesundheit von einem vermeintlich eigenständigen, mehr oder weniger konkursiten Markt, in einen Wachstumsmotor um.

Finanz- und Humankollaps
Fast alle europäischen Länder geben zweistellige Milliardenverluste im Gesundheitswesen an – seit Jahren. 2,5 Millionen Menschen sind bei unseren deutschen Nachbarn (zur Zeit!) auf Pflege angewiesen. Bis 2030 werden es 3,6 Millionen sein. Das ist von Sozialversicherungen alleine nicht mehr zu stemmen.
Zwischen 1985 und 2000 ist die Nachfrage in Deutschland nach Gesundheitsleistungen um beinahe 70% gestiegen, weit mehr als die Wirtschaft ihre Leistung steigerte. Während diese pro Jahr um 1-2% wuchs, stiegen die Arzneikosten pro Jahr um satte 8%. Das kann nicht nur am Pharma-Marketing liegen...
Aber auch der Faktor Mensch wird zum Nadelöhr: Gutes Medizin- resp. Pflegepersonal ist schon jetzt eine Rarität, die unsägliche Bologna-Reform mit ihrer Bachelor- und Mastermania zieht die besten Pflegekräfte vom Krankenbett in die aufgeblähten Administrationen ab, viele Spitäler und Pflegeheime ächzen unter dauerndem Pflegenotstand und versuchen mit linguistisch unverschuldet nicht auf Augenhöhe kooperierenden Pflegekohorten aus Ost und Süd die gröbsten Lücken zu stopfen. Dass spärliche Sprachkenntnisse auch noch auf nicht selten altersschwerhörige Ohren treffen, macht das Ganze auch nicht einfacher – wohlverstanden auf beiden Seiten des Pflegebettes. Tendenz: steigend. Man stelle sich nur mal die zukünftige Machtposition vor, die Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes, insbesondere in der Pflege, in mittelbarer Zukunft innehaben werden. Ihr Problem wird lediglich sein, aus welchen leeren Honigtöpfen sie sich dann bedienen sollen...

Aber es brodelt nicht nur bei Finanzen und Pflege: Gemessen an der realen Kaufkraft hat sich das ärztliche Einkommen seit 1990 halbiert – unter solchen Präambeln würde deutsche Lokführer und Piloten morgens nicht mal mehr das Bett verlassen. Ein Viertel der deutschen Ärzte geht nach Abschluss in einen anderen Beruf oder ins Ausland. Man schlage nur mal das Telefonbuch vor Ort in Dubai unter der Rubrik „Ärzte“ auf: Namen wie Schmidt, Huber und Koch erinnern nicht an eine Abstammung als Wüstensöhne. Aber auch in der Schweiz ist es nicht besser: Selbst in renommierten (Winter)Kurorten finden niedergelassene Ärzte kaum Nachwuchs, gewisse Disziplinen wären ohne ausländische Fachkräfte (die dann in ihren Ländern fehlen!) nicht mehr länger aufrecht zu erhalten. Auch die Altersstruktur spricht Bände: Das Durchschnittsalter der niedergelassenen Ärzte mit Kassenzulassung in Deutschland ist von 46 Jahren 1993 auf 51,1 im Jahre 2005 gestiegen. Tendenz: steigend.

Keine Problemlösung
Die Gesundheitspolitik von heute löst keine Probleme, sondern verschiebt sie in die Zukunft. Die Politiker sind im Affenmodus, nichts sehen, nichts hören, nichts sagen. Mehr als die (vermeintlich!) medienwirksame Forderung, den Schwangerschaftsabbruch selbst zu bezahlen, kommt ihnen nicht in den Sinn. Kein Politiker traut sich die Wahrheit zu sagen, als Überbringer der Botschaft würde er geköpft resp. abgewählt. Wie auf der anderen Seite des Rheins bei den wirtschaftlichen Folgen und Kosten der deutschen Einheit werden WählerInnen und damit BürgerInnen dauerbelogen.
Die Bewahrer des heutigen Systems verkennen, dass das bestehende System ohne drastischen Umbau einstürzen wird:
Wenn den Ärzten immer weniger bezahlt wird, werden sie in Bälde verlangen, dass Patienten direkt bar zahlen (wie es die “Schönheits“- und Tierärzte bereits tun). Die Wirklichkeit wird noch grösser Zuzahlungen erzwingen als die bereits steigenden Prämien bewirken.
Was ist, wenn erste Kassen pleite gehen? Wird der Mittelstand, um dies zu verhindern, in ein, zwei Jahrzehnten fünfzig Prozent des Bruttoeinkommens in die Krankenkasse fliessen lassen? Wo wird dann noch Kaufkraft sein? Was ist mit dem Frieden unter der Solidargemeinschaft: Wird er bestehen bleiben oder wird eine Gesundheitspolizei jedem Raucher die Kippe im Gesicht ausdrücken zur Brandmarkung als Nikotinmonster, jeden Übergewichtigen in Ketten mit Nahrungskarenz legen und jeden Betrunkenen im nächstgelegenen Brunnen bis zur Ausnüchterung tränken? Wird eine Gesundheitsscharia erste Fettsüchtige steinigen?

Wer aber meint, es ginge nur ums Geld, irrt gewaltig.

Gesundheit und Gesundheitsreform jenseits des Geldes
Während sich alle um die Bürgerbeiträge streiten, bleiben die grössten Reserven unberührt – weil niemand daran verdienen würde ausser die Patienten selbst (Erich Händeler, „Spitze im Sitzen“, Rheinischer Merkur, 22/02.) Bewegungsmangel verursacht 80% aller Zivilisationskrankheiten samt Todesfolgen. Nur wenig mehr moderate Bewegung fernab von narzistisch gestörten, ewigjungen Fitnessclowns könnte die Lohnnebenkosten (Deutschland) und Kassenprämien (Schweiz) stark entlasten.

900 Kilokalorien verbrauchen wir heute weniger als vor dreissig Jahren, essen aber 1000 mehr als vor hundert Jahren. Wir legen täglich knapp einen Kilometer zu Fuss zurück anstatt 5-6 km (10000 Schritte!) oder 20 wie vor fünfzig Jahren. Allein das schnurlose Telefon erspart uns 25 Kilometer Weg im Jahr. 17’000 Berufsstunden verbringen wir pro Jahr genervt im Stau, die meisten kompensationslos. 1850 gab es in Europa 5% Sitzarbeitsplätze, heute sind es 82%, der Allerwerteste wird zum wichtigsten Organ (und findet entsprechend Beachtung, wenn die Bundeskanzlerin beim Skilanglauf darauf fällt.) Die normale Muskelspannung im Ruhezustand ist in den vergangenen 20 Jahren deutlich angestiegen. Dabei verhindert ein Muskel, der nur zu einem Drittel angespannt ist, grosse Teile der Durchblutung. Mehr als 80% der Kopfschmerzen sind auf erheblich verspannte, ungenügend ausgebildete Nackenmuskulatur zurückzuführen. Schon unter 40jährige leiden an Knorpeldegenerationen (und werden schamlos operiert), weil Gelenke, die nicht bewegt und gestärkt, vom Organismus auch nicht ernährt werden. „Wer rastet rostet“. Haben fast alle vergessen. Beim nichtgebrauchten Auto spricht man von Standschäden. Wenigstens steht es, wir sitzen...

Informationsmitarbeitende
Wir haben kaum noch körperlich Arbeitende. Die Informations-mitarbeitenden sind innerhalb von einem halben Menschenalter von Muskelarbeitern zu Nervenarbeitern mutiert. Ihre 70 Billionen Zellen ächzen unter der Bewegungslosigkeit und dem Dauersitzen, welches Diabetes, Herzinfarkt, Fettsucht, Schlafstörungen, Kopf -und Rückenschmerzen, Sodbrennen, Verstopfung und Reizdarm den roten Teppich auslegt. Der tägliche Stress wird geschluckt und nicht mehr körperlich verarbeitet, wie wir es noch als Savannenläufer in der Jungsteinzeit gewohnt waren. Von Jägern und Sammlern haben wir uns bestenfalls zu Jägern und Rammlern „weiterentwickelt“, das geht aber in der Wüste Cyberspace sitzend vom PC aus. Aus dem Sitzungszimmer weglaufen bei Ärger oder angreifen und den nervenden und die Schleimhäute ätzenden Kunden oder Kollegen verprügeln gilt als wenig angebracht. Geblieben sind bei Stress und Ärger die archaischen Körperreflexe: Schultern hoch und verspannen, damit die Halsschlagader geschützt ist, wenn der Bergpuma zu springen droht, Adrenalin ausschütten und ablagern, zusammen mit anderem Gefässmüll, um diese unsere Pipelines möglichst eng zu stellen und Durchblutung und Denkfluss zu verlangsamen (damit dann alle von mangelnder Innovation reden können...)
Die Zahl der Herzinfarkte hat sich innerhalb der letzten 25 Jahre verdoppelt, die Betroffenen werden immer jünger. Neun von zehn sind auf mangelnde körperliche Aktivität, Muskelschwund und total falscher, zu zuckerreicher Ernährung zurückzuführen. Untrainierte haben, selbst beim Fehlen anderer Risikofaktoren, ein doppelt so hohes Infarktrisiko als Trainierte. Untrainierte Frauen haben ein 16mal höheres Krebsrisiko als Trainierte. Die Allergieanfälligkeit unserer MitbürgerInnen steigt alle zehn Jahre um sagenhafte dreissig Prozent. Dies hängt nicht mit Handyantennen zusammen und auch nicht mit zu wenig veganen Menus, sondern damit, dass wenn alles untrainiert und verkümmert ist auch das Immunsystem nicht aus der Reihe tanzt. Warum denn auch?
Das Gesundheitssystem kuriert nur Symptome und klagt simultan, Medikamente, Klinikaufenthalte und Arztbesuche seien nicht mehr zu bezahlen. Eine Gesundheitspolitik, die sich auf die Gestaltung und Verwaltung von Geldströmen beschränkt, hat diesen Namen nicht verdient.

Die Alten sind schuld...
Gerne werden ausschliesslich die Alten als Kostentreiber beschrieben. Das stellt eine unzulässige Vereinfachung und eine faule Selbst-beschwichtigung dar. Ein Viertel eines Jahrgangs unserer Kinder ist krank: Übergewicht, Fettsucht, Asthma, Neurodermitis, Störungen des Bewegungsapparats. Die Häufigkeit von Allergien bei Schulkindern hat sich in den letzten zehn Jahren des 20. Jahrhunderts verdoppelt! Zwei von drei Schulkindern sind in irgendeiner therapeutischen Abklärung, Psychopharmaka die neuen Schülerdrogen. 44 Prozent der Viertklässler aus einer Studie des Sportwissenschaftlers Klaus Bös klagen über gelegentliche und 8 Prozent über dauernde Rückenschmerzen. Jeder dritte Patient, der an „Altersdiabetes“ erkrankt, ist mittlerweile auch in Europa ein Jugendlicher. Wie krank ist denn das? Ob Menschen im Alter Osteo-porose bekommen, ist vor allem determiniert, wie viel Knochenmasse („peak bone mass“) sie in der Jugend durch körperliche Aktivität und richtige Ernährung aufbauen. Osteoporose ist nichts anderes als eine Kinderkrankheit – lediglich erst mit Auswirkungen im Alter. 20 Prozent sterben an den Folgen von Schenkelhalsfrakturen und 30 Prozent werden zu Pflegefällen, zu ökonomisch negativ tickenden Zeitbomben und das Tragischste und mit nichts zu bezahlen: vor allem sozial isoliert.

Struktur des Lebens
Politik, Umweltbewegung und Medizin bekämpfen Symptome und unterliegen der Irrmeinung, auf Dauer Gesundheit und Wohlbefinden zu ernten. Wir verabreichen Medikamente, verbieten Pestizide, machen Benzin bleifrei und vertreiben Amalgam aus den Zahnarztpraxen. Wir führen den Katalysator ein, filtern Schornsteine, abgastesten dauernd unsere Autos, demnächst bald alle mit Spurassistenten und Fussgängerairbags ausgestattet und fliegen (fast Co2-frei...) für das Klima bis nach Lima. Die Hauptursache für Krankheit aber übersehen wir, meint die Journalistin Petra Thorbrietz. Es ist die Struktur ihres Lebens selbst, an der die meisten leiden.
„Wir haben nichts an unserer persönlichen Ökologie verbessert, am Gleichgewicht von äusseren Anforderungen und inneren Ressourcen, an unserem Verhältnis zur Zeit, an der Stärkung unserer Muskelkraft, unserer Kreativität und unserer Gedankenhygiene.“ („Lügen, Lobbies, Lebensmittel. Wer bestimmt was wir essen und müssen.“ Verlag Kunstmann)

Zukunft
Beides zusammen, keine weitere Erhöhung der Selbstbeteiligung bei stabilen Gesundheitskosten und damit auch Kassenprämien funktioniert definitiv nicht. Es sei denn, die Kosten würden sinken, weil wir umdenken. Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt bei bestehendem System der Glaube. Die Frage, die die Öffentlichkeit daher zu diskutieren hat: Sollen zukünftig höhere Kosten durch höhere Krankenkassenbeiträge getragen werden oder durch eine höhere individuelle Selbstbeteiligung im Krankheitsfall? Volkswirtschaftlich ist der Effekt der Gleiche:
Die zusätzlichen Kosten gehen zu Lasten des frei verfügbaren Einkommens, die Kaufkraft sinkt. Damit wird jetzt aber der Druck des Lebensstils auf den Geldbeutel des Einzelnen verschärft, was die Chancen massgeblich erhöht, Krankheitskosten durch und in einem vernünftigen Lebensstil einzusparen.
Ob und wir sehr wir im Alter krank werden, hängt weniger von Ärzten, Pflegefachkräften und Kassensystemen als von uns selbst, von unserem Lebensstil ab. Investitionen in Lebensstil und Gesunderhaltung erhöht nicht nur die Leistungsfähigkeit einer Volkswirtschaft, sie senkt auch die Krankheitskosten, vor allem auch in der zweiten Lebenshälfte. In den Lebensstil eines einzelnen kann und soll der Staat aber nicht direkt eingreifen:
Niemandem kann verboten werden, unbewegt und chipsfressend seine Abende vor dem Fernseher zu verbringen, nachdem er den ganzen Tag vor dem Bildschirm sass. Aber wer sich in seiner Freiheit so entscheidet, der soll künftig nicht mehr wie bisher von den anderen verlangen, sie sollen sich die Konsequenzen seines Verhaltens aufbürden lassen. Das hat nichts mit gekündigter Solidarität zu tun, andersrum aber viel mit Egoismus. Deshalb muss eine neue Gesundheitspolitik einen Rahmen schaffen, in welchem der Einzelne die Verantwortung für seine Gesundheit nicht an Ärzte oder den Staat delegiert, sondern selber wahrnimmt und die Konsequenzen seines Tun oder Lassens spürt. Das Fach Gesundheit sollte längst Pflichtfach bis zur Reife sein, denn es kann nur Sinnvolles tun, wer solches kennt und anzuwenden weiss. Beginnen müsste man allerdings nicht in den Schul-, sondern den Lehrerzimmern.
Wer sich alkoholisiert ans Steuer setzt und einen Unfall verursacht, soll seine Verletzungen selbst bezahlen. Nur jeder sechste Mann und jeder dritte Frau nutzen die Krebsvorsorgeprogramme der Kassen in Deutschland. Vor allem Männer gehen vor Sorge vor der Vorsorge nicht zu dieser hin. Das wird sich ändern, wenn es finanzielle Anreize gibt, gesund zu leben.
Die solidarische Krankenversicherung bleibt bestehen. Sie wandelt sich lediglich von einer Vollkasko- zu einer Teilkaskoversicherung.

Was die Gesundheitspolitik dabei einnimmt resp. nicht ausgibt, gibt sie den Versicherten an anderer Stelle wieder zurück. (Von den 6 Euro, die sie pro Versicherten und Jahr für Prävention bis dato ausgeben darf, ist nichts zu bewirken.) Dies ist ein weiterer Weg aus der Zahlungsunfähigkeit, denn sie wird so die Bürger befähigen, ihren Lebensstil selbstverantwortlich zu reformieren. Zum Beispiel, indem sie wichtige Informationen nicht Fitnessgauklern überlässt, sondern über Hintergründe des eigenen Körpers aufklärt, damit der Mensch mit Hilfe von seriösen und authentischen Fachleuten, die Wein predigen und ihn auch trinken, selbst zum Regisseur seiner Gesundheit werden kann. Ärzte verdienen heute fast ausschliesslich an Krankheiten, denn wenn sie dem Patienten raten, sich mehr zu aktivieren, tun sie dies nur aus Nächstenliebe und nicht aus monetären Gründen. Künftig sollen Ärzte an Gesundheit verdienen und nicht ausschliesslich an Reparaturen. Niemand geringeres als Hippokrates und die heilige Hildegard von Bingen beschrieben dies, politisch genderkorrekt gleichgestellt:
Moderates körperliches Training, dem Menschen angepasste Steinzeit-ernährung, Gedankenhygiene (Meditation, Entspannung), Beziehungs-pflege/soziale Vernetzung und Erhaltung von Werten. Im Westen nichts Neues, aber so tief unter so viel Schutt und Schrott begraben.

Übrigens: Nikolai Kondratieff wird 1930 von den russischen Kommunisten in die Gefangenschaft eines Gulags gebracht: Einzelhaft. In der Stille wird er fast taub, verliert zunehmend sein Augenlicht, Schlaflosigkeit und rasende Kopfschmerzen plagen ihn. Am 17. September 1938 wird ihm der Prozess gemacht, gleichentags exekutiert man ihn. Zu schlecht die von ihm überbrachte Botschaft, zu neu seine Lösungsvorschläge. 1987 lässt ihn die Sowjetunion als grossen Wirtschaftsforscher rehabilitieren.

Ich wünsche Ihnen ein gesundes, körperlich bewegtes, geistig aktives und von regelmässigen Entspannungspausen gefülltes 2015. Danke, dass Sie meine Blogs lesen und wenn Sie Ihnen gefallen – tragen sie die Inhalte hinaus. Merci.

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